Urban Labs 1 + 2
Das Ziel der ersten beiden Urban Labs „Empathize“ war, ein gemeinsames Verständnis über die Bedarfe eines zukünftigen kiezbezogenen E-Lastenfahrradsystems zu entwickeln. Was wird gebraucht? Was wollen verschiedene Zielgruppen? Was sind die Erfordernisse in den Kiezen? Es galt vor allem die Außensicht aus den Kiezen kennenzulernen.
Aufgabe für die Teilnehmer*innen war, ein gemeinsames Verständnis über die Themen E-Lastenfahrräder und Kiezlogistik in den Gruppen zu entwickeln. Dazu wurde den Teams eine Leitfrage gestellt, der sie sich mit ihrer jeweiligen Perspektive annähern sollten: Wie erhöhen wir die Lebensqualität im Kiez mithilfe von E-Lastenfahrrädern?
Die Gruppen haben Bedarfe erkannt, Zielgruppen definiert, Entwicklungsthemen identifiziert und Probleme geschärft. Am Ende wurden erste Vorstellungen über mögliche Zielgruppen eines auf Lastenfahrräder basierten Liefer- und Leihsystems und deren Bedarfe entwickelt.
Distribute kann bereits jetzt von den Erkenntnissen der Labs profitieren, indem es die bereits angelaufenen Tests optimieren und anpassen kann. Zum Vorschein kamen u.a. neue Transportbedarfe, die wir bisher nicht im Blick hatten, insbesondere Haustiere oder Sperrmüll. Aber auch kleine Einkäufe können bei etwas größeren Distanzen für den Transport mit Lastenfahrrädern attraktiv sein.
Es ergaben sich offene Fragen, auf die wir reagieren müssen. Dazu gehören solche nach der Preisgestaltung, nach der flexiblen Verfügbarkeit von Rädern, nach Unterstellmöglichkeiten für Lastenfahrräder und nach neuen Konkurrenzen und Konflikten mit anderen Verkehrsteilnehmer*innen, vor allem Fußgänger*innen.
Urban Lab 3
Die Teams haben dieses Mal konkrete Problemlagen und Bedarfe von Zielgruppen geschärft und in sogenannten Personas – idealbildlich zugespitzten Nutzern – anschaulich gemacht. Anhand der Personas konnten die Teams erste Hinweise auf künftige Lösungen für die Abstellanlagen, für ein Buchungssystem, für die Lastenfahrräder und für ergänzende Dienstleistungen geben.
Die in den Arbeitsgruppen definierten Personas zeigen zwei für Distribute außerordentlich wichtige Hinweise: Die Privatpersonen haben nach den Teamdefinitionen allesamt regelmäßige oder vereinzelt anfallende Transportfahrten mit unterschiedlichem Zweck oder Anlass zu erledigen. Dies bedeutet, dass ein Leihsystem möglichst flexibel aufgebaut aber auch auf unterschiedliche Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer eingehen muss. Für das Projekt bedeutet das, bei der Entwicklung der technischen Komponenten besonders intensiv auf die Bedienbarkeit und Flexibilität von Nutzerwünschen zu achten.
Die Personas aus dem Bereich der Gewerbetreibenden werden allesamt als gut vernetzte Akteure vor Ort beschrieben, die Interesse und Lust am Aufbau eines Fahrrad-Liefersystems haben. Durch ihre Bekanntheit im Quartier helfen sie, die Idee von Distribute als umfangreiches Transport-Logistik-System im Kiez bekannt zu machen. Für das Projekt bedeutet das, genau solche Akteure zu finden, die durch ihre Offenheit gegenüber digitalen Technologien mithelfen, passgenaue Services rund um den Fuhrpark von E-Lastenfahrrädern zu etablieren.
Die Teams haben mit der Definition der Personas die Grundlage für die Findung und Weiterentwicklung von Ideen geschaffen. Sie haben aber bereits in diesem Lab einige Ausblicke auf kommende Handlungsfelder gegeben. Dazu gehören u.a. Fahrradboxen, Schlüssel-Apps und Akteur-Patenschaften in den Kiezen. Hier gilt es, im kommenden Urban Lab weiterzudenken. Gleichzeitig werden dann bereits erste Erfahrungen mit dem realen Verleih der E-Lastenräder vorliegen, die in die Ideenentwicklung einfließen können. Die Sammlung der Ideen wird Aufgabe des kommenden Urban Labs sein.
Urban Lab 4
Beim 4. Urban Lab stand Ideation, also die Sammlung, Entwicklung und Bündelung von möglichst vielen Ideen im Vordergrund. Die Teilnehmer waren aufgefordert, die Köpfe zunächst frei zu machen, um dann ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Beim Urban Design Thinking kommt es dabei nicht so sehr auf die Reife der Idee, sondern auf die Fülle an. Auch und gerade ungewöhnliche oder utopische Vorschläge können später den Weg hin zu einer wirklich guten Lösung weisen.
Das Arbeitsformat des Urban Design Thinking hat auch in dieser Ausgabe der Labs gezeigt, dass es möglich ist, in relativ kurzer Zeit eine Menge an fruchtbaren Ergebnissen zu erarbeiten. Dabei fällt auf, dass alle Teams – in unterschiedlichem Maß – auf die Flexibilität der gefundenen Lösungen Wert legen. So ist zum Beispiel die in der Gruppe Lastenfahrräder als Ausstattung erdachte Multifunktionsbox sowohl in ihrer Faltbarkeit, als auch in der Beladung und in der geteilten Nutzung ein dreifach flexibles Element. Dies liegt sicher in den heute allseits geforderten Lebens- und Arbeitsumständen begründet, hat aber auch mit einer gewissen Unbestimmtheit zu tun, mit der alle Lösungen in diesem Stadium noch zurechtkommen müssen.
Die Lösungen sind alle bedarfsgerecht abgeleitet, geben aber noch wenig Information darüber, wie sie später konkret aussehen werden, wie viel man davon braucht, und was sie mit dem öffentlichen Raum im Kiez machen werden. Hier liegen Fragen, die man unter dem Stichwort Flexibilität noch weiter behandeln muss. Die Gruppe Buchungssystem weist dabei in eine interessante Richtung, indem sie die geforderte Flexibilität des Systems mit dem Anspruch großer Verlässlichkeit und Planungssicherheit verknüpft.
Einen anderen Zugang zu Flexibilität bietet das Denken über gerade nicht-flexible Zielgruppen, insbesondere Alte und in ihrer Bewegung eingeschränkte Personen und ihre Bedarfe im Sinne eines selbstbestimmten Lebens. Hier zeigt das Andenken von flexiblen, mit dem Lastenfahrrad verbundenen Services ein weites Geschäftsfeld auf. Die Gruppe Dienstleistungen hat hier besonders vielfältig gedacht, von speziellen wohnungsnahen Dienstleistungen bis hin zu selbstfahrenden Lastenfahrrädern.
Ebenso spannend und angesichts der Digitalisierung überraschend war, dass alle Gruppen, vor allem bei der Überlegung über die Geschäftskanäle, auf gute Praxis, Anschauung vor Ort und direkte Kommunikation setzen. In der Verknüpfung von Online- und Offline-Angeboten in einem System liegt noch viel Entwicklungsspielraum. Die Gruppe Abstellanlagen versucht beispielsweise, die Präsenz im Raum durch persönliche Stationen und parallel durch stationsungebundene Fahrräder zu vervielfältigen.
Dieser Spielraum in der weiteren Entwicklung kann unmittelbar beim kommenden Lab genutzt werden, in dem die jetzt auf dem Papier angedachten Lösungen in gebaute Prototypen übersetzt werden. Aus der Erfahrung mit anderen Design-Thinking-Projekten lässt sich sagen: wenn man etwas physisch baut, zeigt sich, an was man noch nicht gedacht hat. In diesem Sinne erwarten wir wieder ein interessantes Urban Lab bei Distribute und freuen uns auf den Fortgang der Entwicklung in den Teams.
Urban Lab 5 – 7
Die Urban Labs von Distribute folgen einem Ablauf, der durch die Erfahrungen aus Design-Thinking-Prozessen geprägt ist. In einer Gruppe von „Design Thinkern“ – bei uns im Wesentlichen Bewohner*innen der beiden Projektgebiete und Projektmitglieder – werden Bedarfe ermittelt, Ideen generiert und Lösungen immer weiter verfeinert. Ein wichtiger Grundsatz dabei ist, dass nichts in Stein gemeißelt ist; Ausprobieren, Verwerfen und Weiterentwickeln gehören zum Wesen des Prozesses. Dabei zeigt sich, dass kein Prozess gleich geartet ist. Manchmal erscheinen gefundene Lösungen von Beginn an schlüssig und werden kontinuierlich fortgedacht, manchmal erweisen sich vermeintliche Lösungen im Test als unbrauchbar und müssen durch andere Möglichkeiten abgelöst werden. Die in dieser Broschüre dokumentieren Ergebnisse der vier Teams zu den Systemkomponenten E-Lastenfahrrad, Abstellanlagen, Buchungssystem und Dienstleistungen lassen erkennen, dass es im Urban-Design-Prozess von Distribute nicht anders läuft. Jedes Team schlägt seinen eigenen Weg der Entwicklung ein und es ist nicht garantiert, dass die hier vorgestellten Arbeitsergebnisse auch wirklich bis zum Ende, also bis zum Geschäftsmodell, weitergedacht werden.
Zweimaliges Bauen und Testen
Iteration, verstanden als Rückkopplung und Wiederholung, ist so konstituierend für den Arbeitsprozess, dass wir uns entschieden haben, die Ergebnisse von drei Urban Labs in einer Broschüre zusammenzufassen, um den Arbeitsverlauf besser nachvollziehen zu können. Die hier dargestellten Labs sind eng miteinander verzahnt, bauen inhaltlich aufeinander auf und rechtfertigen so eine gemeinsame Betrachtung. Thema in allen drei Labs war das Bauen von Prototypen mit anschließendem Testen. Im Urban Lab 5 haben die Teams zusammen an einem Ort die vorher gesammelten Ideen in einen Prototyp im Modellmaßstab gebracht. Anhand dieser Modelle konnten die wesentlichen Funktionen und Konstruktionsprinzipien der angestrebten Lösung dargestellt werden. Zum Testen waren die Mitglieder der jeweils anderen Gruppen aufgefordert. Auf diese Weise konnten erstmals Überschneidungen und Anknüpfungspunkte in den Lösungen der Gruppen sichtbar gemacht werden, z.B. in der Frage, wie sich das Buchungssystem mit einer Abeschließmöglichkeit für die Abstellanlagen kombinieren lässt. Basierend auf den Ergebnissen dieser ersten Runde wurden die Lösungen und Prototypen in einer Iterationsschleife in den Urban Labs 6 und 7 einen Schritt weitergedacht. Inhaltlich gleich gelagert – nämlich ein nochmaliges Bauen und Testen von Prototypen – haben wir uns dennoch dazu entschlossen, diesen Arbeitsschritt in zwei getrennten Labs durchzuführen. Damit ergab sich die Gelegenheit, die gewünschte Ortsbezogenheit des Urban Design Thinking ernst zu nehmen, indem die Teams auf die zwei Projektgebiete aufgeteilt und die Arbeit in die Stadtteile verlagert wurde.
Urban Labs 6/7 als Schritt in den öffentlichen Raum
Ziel war dabei, aus dem geschützten, aber auch geschlossenen Rahmen des Rathauses in Charlottenburg herauszutreten und das Testen direkt in den öffentlichen Raum zu verlegen. Zum ersten Mal wurden also die entwickelten Maßnahmen, Strategien und Handlungsansätze in der Stadt selbst getestet. In der Vorbereitungszeit zwischen den Labs 5 und 6/7 konnten die Teams E-Lastenräder und Dienstleistungen bereits Gespräche mit Interessierten im Quartier rund um den Klausenerplatz führen. Daher ergaben sich für das Team Dienstleistungen vorher feststehende Orte des Testings im sogenannten Ziegenhof und auf dem Campus der TU Berlin. Die Gruppe E-Lastenräder hatte im Vorfeld Gespräche mit testwilligen Einzelhändlern geführt, die am Tag des Urban Labs wieder aufgesucht werden konnten. Die Zuordnung der Teams Abstellanlagen und Buchungssystem zum Urban Lab auf der Mierendorff-Insel ergab sich durch die enge Verknüpfung der Themen mit der bereits seit April 2018 existierenden Leihstation des Projektpartners insel-projekt.berlin. Beide Testings konnten so unter Zuhilfenahme der bestehenden Infrastruktur der Leihstation, insbesondere der dort stationierten Räder, durchgeführt werden. Am Ende hat sich gezeigt, dass es einen enormen Vorteil bringt, Ideen und Lösungen in die Stadt hineinzutragen und bestimmte Fragen im ortspezifischen Kontext mit den Menschen vor Ort zu besprechen. Neben dem wertvollen Erkenntnisgewinn zu den einzelnen Lösungen ist das Testing im öffentlichen Raum auch ein wichtiges kommunikatives Element: Passanten bleiben stehen und können nicht nur den Prototypen begutachten, sondern sich direkt über die Arbeit des gesamten Projekts informieren. Die konkrete Veranschaulichung verbessert die Vorstellung von und das Verständnis zu entwickelten Ideen und erleichtert den Austausch mit Bürger*innen und lokalen Akteur*innen. So konnten die beiden Labs auch dazu genutzt werden, das Projekt Distribute in den Quartieren noch besser sichtbar zu machen.
Urban Lab 8
Iteration – Anpassung und Überprüfung durch Wiederholung der vorhergehenden Arbeitsschritte im Schnellverfahren
Schritt für Schritt tasten sich die Teams beim Urban Design Thinking von Distribute vor, um am Ende geschäftlich und organisatorisch tragfähige Bausteine für ein Lastenradverleihsystem in Charlottenburg aufzubauen. Die generelle Herausforderung liegt unter anderem darin, ein System vorzudenken, das sowohl private Nutzer in Form einer Fahrradausleihe als auch gewerbliche Nutzer in Form eines Lieferdienstes anspricht. Außerdem liegt die Zielsetzung von Distribute als Forschungsprojekt auch darin herauszufinden, wie sich neue Formen städtischen Liefer- und Transportverkehrs aus dem Stadtquartier heraus entwickeln können.
Nach dem siebten Lab im Sommer waren die Teams bis zur Entwicklung von Prototypen gelangt, die (weitgehend) im Originalmaßstab die künftigen Lösungen in der Öffentlichkeit testen ließen. Dabei wurde deutlich, dass trotz vieler Anstrengungen bei der Ideenfindung, der Ideenauswahl und beim Bau der Prototypen teilweise noch keine überzeugenden Antworten auf die Bedarfe der privaten und gewerblichen Nutzer gefunden wurde. Das Team der TU, das die Urban Labs vorbereitet und konzipiert, hat sich deshalb entschlossen, den im Rahmen der Urban Design Thinking vorgesehenen Arbeitsschritt „Iteration“, also kritische Überprüfung und Anpassung des Erreichten, durchzuführen. Dies ist nicht immer einfach, da bereits viel Entwicklungsarbeit getan wurde, die jetzt möglicherweise wieder verworfen wird.
Um die Überprüfung der bisherigen Arbeitsergebnisse nicht intern und damit durch die eigene Brille hindurch machen zu müssen, haben wir uns für das Urban Lab 8 entschlossen, externe Gäste, die mit dem jeweiligen Baustein durch ihre eigene Tätigkeit besonders vertraut sind, einzuladen. Sie würden uns dabei helfen, die Prototypen unabhängig und frisch zu begutachten und den nötigen Input für die Weiterentwicklung zu geben. Eingeladen waren:
Markus Nennewitz von Nextbike und Gunnar Thöle vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf im Team Abstellanlagen, Gundula Büermann von fLotte Berlin im Team Buchungssystem, Sophia Tybußek von der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 im Team Dienstleistungen sowie Erich Benesch vom MediaTrike-Netzwerk Potsdam im Team E-Lastenfahrräder.
Zusammen mit den Gästen aus den Projektquartieren und den Projektpartnern haben die Gäste die bisherigen Prototypen auf ihre Funktion, ihre Umsetzbarkeit und ihre Verantwortlichkeit hin überprüft. Dabei war besonders wichtig, die Bedarfe wieder in Erinnerung zurufen, die zu Beginn des Urban Design Thinking bei Distribute ermittelt wurden. Die zentrale Prüffrage war also, ob die Prototypen den Bedarfen, wie sie zu Beginn des Arbeitsprozesses definiert wurden, wirklich gerecht werden. Da dies in keinem der Teams zur Gänze der Fall war, galt es nun, die Lösungen noch einmal anzupassen. Für diese Anpassung haben wir, wenn auch in verkürzter Form, die Phase der Ideation, also der Ideenfindung wiederholt. Diese Broschüre ist also vor allem eine Dokumentation der vielen Ideen, die während des Urban Labs weiterentwickelt oder ganz neu gefunden wurden.